Ist häusliche Gewalt (k)ein Männer-Thema?

Partnerschaftsgewalt ist kein Frauen-Thema. Es ist ebenso Männer-Thema. Wenn häuslicher Gewalt Einhalt geboten werden soll, bedarf es Männer, die Partnerschaftsgewalt aktiv zu ihrem Thema machen.

Jackson Katz: Violence and Silence

Violence against women—it's a men's issue: Jackson Katz at TEDxFiDiWomen

 

[Freie Zusammenfassung der Inhalte]

„Der Umstand, dass Männer sich gegen häusliche Gewalt organisieren und engagieren ist der Frauenbewegung zu verdanken. Frauen haben diese Gruppen initiiert, aufgebaut, Führungsstrukturen geschaffen, Wachstum ermöglicht und begleitet. Bei den Botschaften dieser Organisationen handelt es sich um Aussagen und Forderungen, die seit Jahrzehnten von Frauen gestellt werden, zu oft ungehört. Die Anerkennung, die wir erhalten, gebührt diesen Frauen.“ (frei wiedergegeben)

Paradigmen die Gewalt und Diskriminierung erhalten

Zuordnung: Wer ist angesprochen?

Geschlechterspezifische Gewalt (GG) ist kein Frauenthema, für das sich einige „besonders gute“ Männer einsetzen. Es ist ein Männerthema, das bisher absichtlich als Frauenthema deklariert wurde.

Warum? „Frauen-Thema“ wird oft gehört als: betrifft mich (als Mann) nicht, ich bin nicht angesprochen, quasi sogar ausgeschlossen. Man(n) hört automatisch weg bei „Frauen-Thema“. Der Begriff mit Gender wird ebenfalls in „Frauen“-Thema übersetzt.

Dieses Phänomen findet sich in zahlreichen Oben-Unten-Systemen. Beispiel „Rasse“ (race). Ein Amerikaner hört „Rasse“ und assoziiert damit „Farbige, Asiaten, Latinos“, etc. Er selber bleibt außerhalb des Begriffs. Rassismus und Rasse haben nichts mit ihm zu tun. Ebenso: „sexuelle Orientierung“. Häufigste Assoziation: Lesben und Schwule. Für Heterosexuelle ist sexuelle Orientierung ein Anderen-Thema.

Was da passiert: Die dominante Gruppe entzieht sich. „Betrifft mich nicht, nicht mein Thema“. Weit gefehlt: genau diese Gruppe ist dafür verantwortlich, dass das Problem entstanden ist und aufrecht erhalten wird.

Benennung des Verantwortlichen statt Victim Blaming.

Die Art, wie über häusliche Gewalt gesprochen wird, macht Männer als Täter unsichtbar.

Was passiert konkret? Hans misshandelt Anna.

Wie wird darüber gesprochen? Anna wurde von Hans misshandelt. Anna ist Opfer. Hans ist raus, Anna im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Victimblaming schließt sich an, alle warum-Fragen beziehen sich auf Anna: Warum lässt Anna das zu? Ist Anna vielleicht psychisch instabil? Was war Annas Anteil an der Eskalation?

Häuslicher Gewalt Einhalt gebieten bedeutet: bei Hans ansetzen.

Die korrekte Frage lautet: Warum misshandelt Hans?

Kulturgesellschaftliche Verantwortungsübernahme statt Einzelschicksal

Hans ist kein Seltenheitsfall. Ihn als solchen zu behandeln minimiert die Ausmaße des Problems.

Warum vergewaltigen so viele Männer Frauen? Warum üben so viele Männer sexualisierte Gewalt an Kindern aus?

Der Blick muss umgelenkt werden von den Einzeltätern auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sexualisierte Gewalt, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, häusliche Gewalt, rassistische Gewalt, lesbo-, trans- und homophobe Gewalt nähren und fördern: Sportberichterstattung, Werbung, Musikindustrie; die Medien und prominente Personen tragen tagtäglich in hohem Maß dazu bei, dass Partnerschaftsgewalt bagatellisiert, legitimiert, entschuldigt und unterstützt wird.

Die korrekte Frage lautet: Was müssen wir als Gesellschaft und ich als Teil dieser Gesellschaft tun, damit sich das ändert?

Paradoxes Angstbeißen

Zusätzlich zu den Opfern werden ihre Fürsprecher*innen und Unterstützer*innen Ziel von Angriffen. Sie werden beschimpft als Männerhasserinnen, Feminazis, hässlich und haarig, sowieso. Die Botin soll erschossen werden, noch bevor Sie ihre unbequeme Nachricht überbringt.

Grund: Der Status Quo, die Verteilung von Macht und Privilegien wird kritisch hinterfragt. Veränderung ginge zu Lasten der Inhaber von ungleich mehr Macht/Privilegien.

Tatsächlich ist eine Abwertung von Frauen, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzen paradox: Jedes Kind, dessen Mutter misshandelt wird, ist automatisch Opfer. Söhne misshandelter Mütter sind Opfer häuslicher Gewalt. Männliche Gewaltopfer haben meist männliche Täter.

 

Der Bystander-Approach

Der von Katz und seinen Mitstreitern vertretene Ansatz (approach) zielt auf das Umfeld (bystanders) ab, Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Der Bystander-Approach motiviert zum Eingreifen und liefert/schult die dafür notwendigen Inhalte und Kompetenzen.
Aktive Verurteilung von Partnerschaftsgewalt und all ihren Voranzeichen, Vorläufern und Wurzeln.

Die Gesellschaft als solche muss sich gegen genderbasierte Gewalt aussprechen. Konkreter: Nicht-Täter müssen sich in diesem Thema engagieren, z.B. als Bystander.

Partnerschaftsgewalt findet auf einem Kontinuum statt. Körperliche Gewalt liegt weit rechts auf diesem Kontinuum. Veränderung passiert, wenn Männer andere Männer mit Verhalten aus dem linken und mittleren Bereich des Kontinuums ansprechen und ihre Missbilligung ausdrücken. Veränderung passiert, wenn Männer aufhören, Gewaltpositive Inhalte, Aussagen und Verhalten zu fördern und zu unterstützen.

Konkret: lach‘ nicht (verhalten, peinlich berührt) wenn Dein Freund/Kumpel/Kollege, etc. Frauen abwertet, von ihnen wie Ware spricht oder sich über Gewalt gegen Frauen lustig macht. Ignoriere es nicht sondern konfrontiere ihn. „Warum findest Du das lustig?“, „damit blamierst Du nicht nur Dich, sondern auch mich. Lass das.“.

 

Lachen bedeutet Applaus, Schweigen Zustimmung.

Dies gilt für Partnerschaftsgewaltbezogene Inhalte, Vergewaltigungswitze, Stereotypen und Sexismus in seinen vielen Ausprägungen. Genauso für rassistische, lesbophobe, transphobe, … kurz: diskriminierende Inhalte.

 

Bystander-Pflicht

Der Bystander-Ansatz will Männern Mittel und Methoden an die Hand geben, um o.g. Eingreifen und Unterbinden effektiv umzusetzen.

Am Ende des Tages sind es nicht die Worte unserer Feinde, die uns den größten Schmerz verursachen. Es ist das Schweigen unserer Freunde. Wir müssen dieses Schweigen brechen. Trotz aller Hindernisse.

Männer in Machtpositionen sind im Rahmen ihrer Führungsverantwortung automatisch verpflichtet, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das ist keine Sache von „Sensibilisierungs-Workshops“ sondern konkretes Führungstraining.

Natürlich kostet es Überwindung, sich auf diese Art zu positionieren. „Pussy-whipped“, „party pooper“, „Pudel“; Peer-Pressure ist eine häufige Reaktion auf Veränderung. Darum unterstützt Katz‘ Organisation werdende Bystander  mit Trainings, Materialien, etc.

Fazit

Viele Männer verurteilen Gewalt gegen Frauen, bezeichnen das Thema als durchaus wichtig. Damit Veränderung passiert muss Haltung sich in aktivem Handeln ausdrücken, aus dagegen-sein muss dagegen-vorgehen werden.

Diese Verpflichtung betrifft jeden Mann. „Ihr schuldet es den Frauen in Eurem Leben. Ihr schuldet es Euren Söhnen. Euch selbst“.

(frei wiedergegeben, sehr)

 

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