Isolation und Einsamkeit nach der Trennung
„ich habe kaum noch soziale Kontakte/ Freunde“
„Psychotherapie bekomme ich erst in 6-8 Monaten, aber jetzt ist niemand da, mit dem ich sprechen kann. Freunde sind schon lange oder jetzt nach der Trennung weg. Es gibt noch zwei sehr gute Freunde, aber denen kann ich auch nicht immer wieder dasselbe …
Sehr viele Betroffene leiden nach der Trennung unter großer Einsamkeit, oft als Folge gezielter Isolation durch den Misshandler während der „Partnerschaft“.
Ebenso sind natürlich nicht alle getrennten Betroffene sind von sozialer Isolation betroffen, manche Frauen haben es geschafft, ihren eigenen Freundeskreis zu erhalten und können nach der Trennung auf soziale Unterstützung durch Freunde und/oder Familie zurückgreifen.
Dieser Text richtet sich an Frauen, die diese Möglichkeiten nicht haben und nach der Trennung unter Einsamkeit und Isolation leiden.
Alleinsein versus Einsamkeit: Abgrenzung:
Zitat In der Sozialpsychologie wird Einsamkeit entweder als Synonym für soziale Isolation verwendet oder als die Bezeichnung der subjektiven Auffassung, an einer ’sozialen Isolation‘ (= Mangel an sozialen Kontakten) zu leiden – unabhängig davon, ob ein solcher Mangel intersubjektiv nachvollziehbar ist oder nicht. (…) Wichard Puls (siehe Literatur), der in seiner Arbeit den Verursachungsprozess von sozialer Isolation nachzeichnet, versteht unter Einsamkeit das subjektive Innewerden sozialer Isolation. Für ihn stellen Einsamkeitsgefühle die Vorstufe zu Depression und negativen Bewältigungsstrategien wie Alkoholismus dar; zudem wirken sie in einer Rückkopplungsbeziehung verstärkend auf solche Faktoren ein, die die soziale Isolation (als Vorstufe zur Einsamkeit) weiter verfestigen.Puls zufolge ist ein sogenanntes „interaktives Dilemma der Einsamkeit“ zu beobachten: Ob gewollt oder nicht, bilden sich unter dem Einfluss der Einsamkeit soziale Einstellungen, Verhaltensweisen und Gefühle heraus, die vom gesellschaftlichen Standard abweichen. Beim Versuch, eine Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen, erweist sich dies als in doppelter Hinsicht fatal:Zum einen neigen einsame Personen formal zu einem selbstbezogenen Kommunikationsstil und gehen in unzureichendem Maße auf die kommunikativen Bedürfnisse ihres Gegenübers ein.Zum anderen vertreten sie inhaltlich häufig Einstellungen zum gesellschaftlichen Miteinander, die vom Standpunkt der Normalität aus betrachtet als destruktiv oder zynisch erscheinen können. Dies wiederum verhindert, dass es im Verlauf der Kommunikation zum Aufbau von Sympathie und Attraktion kommt, da die hierfür erforderliche Ähnlichkeit in zentralen Einstellungen der Kommunikationspartner nicht gegeben ist.Seine Einsamkeit, sein „Anderssein“ oder Abgeschiedensein von anderen Menschen, im positiven Sinn zu akzeptieren – auch wenn Einsamkeit für die meisten Menschen üblicherweise schmerzhaft ist –, anstatt sich ein negatives Bild des Einsam- und Anderssein einreden zu lassen, ist ein wichtiger Schritt, mit Einsamkeit und dem damit verbundenen Schmerz fertig werden zu können. Quelle: Wikipedia
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Isolation und Einsamkeit wurden von etlichen Betroffenen auch als Grund angeführt, warum sie eine Trennung nicht früher herbeigeführt haben. Ebenso werden sie häufig als Grund für Rückfälle angegeben.
Keine Einsamkeit, sondern eine Phase gewählten Alleinseins
Viele Betroffene legen nach der Trennung bewusst eine längere Phase des gewählten Alleinseins ein und berichten, dass sie diese Phase brauchten.
Alleinsein ist nicht mit Einsamkeit gleichzusetzen! Gelassene Menschen fühlen sich im Alleinsein nicht einsam, verlassene Menschen fühlen sich oft auch in Gesellschaft einsam. Viele Betroffene entscheiden sich nach einer Misshandlungsbeziehung bewusst für eine längere Phase des gewählten Alleinseins, um wieder mit sich selber in Kontakt zu kommen.
Wir raten Betroffenen, die Zeit des gewählten Alleinseins auch dazu zu nutzen, sich selber wieder kennenzulernen. Oft haben die zahllosen Negativ-Botschaften des Misshandlers nicht nur das eigene Selbstbild ins Negative verkehrt, viele Betroffene berichten auch, dass sie sich selber kaum noch (er)kennen: sie wissen nicht mehr, wer sie sind, was sie ausmacht. Und sie können sich selber oft nicht leiden.
Es ist verlockend, sich in einer Phase des Alleinseins „gehen zu lassen“. – Dies kann nach hinten losgehen. Hilfreicher ist es, in dieser Phase besonders gut mit sich selber umzugehen, das eigene Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern es quasi zu polieren. Und es ist wichtig, sich selber wieder in einem positiven Licht gehen kennenzulernen.
Ein Tipp für Schreibtischtäterinnen im Home-Office: stellen sie sich einen Spiegel neben ihren Schreibtischmonitor. Und wenden Sie morgens fünf bis zehn Minuten dafür auf, sich für sich selber schön zu machen. Wenn sie auf den Spiegel in ihren Schreibtisch oder in einen anderen Spiegel schauen: schenken Sie sich ein Lächeln, selbst wenn ihnen nicht nach Lächeln ist. In der Neuropsychologie wurde nachgewiesen dass allein der qua Gesichtsmuskulatur zum Lächeln „verzogene“ Mund einen direkten Einfluss auf unsere Stimmung hat: Unser Gehirn übersetzt den Muskulaturzustand des Lächelns in die Information „ich bin guter Stimmung“, in die an die für die Stimmung verantwortlichen Gehirnareale weitergegeben wird.
„Zusammenfassend kann ich sagen: Ich habe nichts mehr.
Doch, ich habe etwas: Einen Anfang. (…)
Und ich habe ein Laptop, einen Spiegel und einen Lippenstift.“
Zwinge Dich nicht zu früh zu sozialen Kontakten, Familienfeiern und besonderen Anlässen
In der Zeit direkt nach der Trennung empfinden viele Betroffene „normale“ soziale Kontakte als quälend und nicht aushaltbar. Interaktionen werden als überanstrengend beschrieben, die vermeintliche Banalität von „normalen“ Gesprächen steht in krassem Gegensatz zu dem eigenen empfunden Leid. Aushaltbar sind in einer solchen Phase allenfalls Kontakte zu anderen Betroffenen, oftmals nur schriftlich oder allenfalls telefonisch. Es ist normal dass die Gedanken und Gefühle der Betroffenen nach der Trennung „nur um das eine Thema“ kreisen.
Eine besondere Herausforderung dieser Phase sind Einladungen zu Familienfeiern und/oder Feiertage, die „normalerweise“ im „Kreis der Lieben“ verbracht werden. Dort würde die Betroffene mit harmlos bis gut gemeinten aber quälend wirkenden Fragen wie „Wie geht’s denn so?“ oder „Warum ist Dein Partner nicht hier?“ konfrontiert. Daher sehen wir es als völlig legitim an, in dieser Zeit Familienfeiern fernzubleiben und Feiertage ausschließlich nach eigenem Gusto zu gestalten, – oder zu ignorieren.
Wenn aus gewähltem Alleinsein Einsamkeit wird – Was tun?
Beklagen sich die Betroffenen über ihre Einsamkeit ernten sie bisweilen Rat-Schläge wie „Such Dir neue Freunde, knüpfe neue Kontakte, sei proaktiv“, häufig gepaart mit ungeduldigem Unverständnis, dass derartige Tipps nicht umgesetzt werden können: Bei einem Großteil der Betroffenen ist das Selbstwertgefühl nach der Trennung infolge der Abwertungen und Misshandlungen nahezu völlig zerstört. Hinzu kommt häufig Kraftlosigkeit und ein negatives – aus den erfahrenen Entwertungen resultierendes – Selbstbild: Sie fühlen sich physisch und sozial unattraktiv und haben Angst, von anderen Menschen Abwertung zu erfahren. Diese Angst trägt zu dem oft berichteten Misstrauen gegenüber neuen Menschen bei, das Kontakte erschwert. Dies trägt oft dazu bei, dass Kontakte oft als anstrengend erlebt werden.
Es ist normal, dass Dein soziales Verhalten und Erleben nach dem Überleben einer Misshandlungsbeziehung völlig durcheinander geraten ist. Es ist normal, dass Du Dich unsicher fühlst. Und es ist normal, dass Du nicht binnen kurzer Zeit wieder ein „normales“ soziales Leben führen kannst. Lass Dir Zeit, mach Dir keinen Druck, – und lass Dir vor allem von außen keinen Druck machen.
Mit kleinen Schritten raus aus Isolation und Einsamkeit – Vorschläge
Bei den nachstehenden Vorschlägen handelt es sich um erfolgserprobte Strategien von Betroffenen, die vor der oben beschriebenen Situation standen; – und sie in kleinen Schritten überwunden haben.
Wenn Du nach der Beendigung unter Einsamkeit und Isolation leidest, findest Du in dieser Liste vielleicht Vorschläge, die – in kleinen Schritten und dem für Dich passenden Tempo – umgesetzt werden. Wichtig: Du bestimmst das Tempo, in dem Du vorgehst. Lass‘ Dir nicht von anderen Menschen einreden, was es heißt, „richtig“ zu leben und/oder „wie sozial aktiv man zu sein hat“. Je nach Intensität der erlittenen Misshandlungen dauert es unterschiedlich lange, bis Du wieder die psychische und physische Kraft hast, wieder auf Menschen zuzugehen und Kontakte „auszuhalten“.
Doppelte Inanspruchnahme von Beratungsstellen
Es ist naheliegend, wenn Du das dringende Bedürfnis hast, über Deine Erfahrungen zu sprechen und Unterstützung bei der Verarbeitung zu bekommen. Für Psychotherapieplätze bestehen meist Wartezeiten von bis zu einem Jahr. Schnellere Hilfe erhältst Du meist in Frauenberatungsstellen. Dort wird man Dich auch über andere Hilfsangebote informieren.
In vielen Städten gibt es gleich mehrere Beratungs- bzw. hilfreiche Anlaufstellen, die kurzfristig Krisenintervention leisten, i.d.R. im Umfang von bis zu zehn Sitzungen. Lade dort Deinen Ballast ab und lasse Dich von Profis unterstützen. Manche Betroffene haben parallel mehrere Beratungsstellen/Einrichtungen genutzt.
Eine weitere gute, jederzeit und überall verfügbare Möglichkeit Dein Herz auszuschütten ist die Telefonseelsorge.
Viele Kirchengemeinden bieten auch Seelsorge-Termine an, – ohne dass Du befürchten musst, „missioniert“ zu werden.
Viele Beratungsstellen bieten zudem weitergehende Angebote an: Mütterstammtische, Alleinerziehendengruppen und/oder „Selbstfindungsangebote“ für Frauen. Dort kann man Kontakte zu anderen Frauen in schwierigen Lebenssituationen knüpfen. Dies kann sich für manche Betroffene „sicherer“ anfühlen, als Neukontakte mit „normalen“ Menschen.
Für gänzlich Zurückgezogene: Klein anfangen, aber anfangen: raus aus dem Haus
Versuche, Dich jeden Tag zu einer noch so winzigen außerhäusigen Aktivitäten zu nötigen, z.B. Einkaufen (vielleicht auch mal spontan etwas, wonach Dir gerade gelüstet), Erledigungen (Briefkasten, Behörde, Post): Einkaufen, Gang zum Postkasten.
Erweiterung für „Fortgeschrittene“: Versuche, bei jeder dieser Aktivitäten mit mindestens einer Person in Interaktion zu treten, z.B. durch Blickkontakt und/oder ein gegenseitiges freundliches Anlächeln oder das Schwätzchen mit der Verkäuferin.
Für Großstadtpflanzen: Lerne Deine Nachbarinnen besser kennen und lass Dich in ein Schwätzchen mit ihnen verwickeln.
Gelassen alleine, aber trotzdem unter Menschen
Sofern es Dein Budget erlaubt: suche Dir ein Café in Deiner Umgebung auf, in dem Du ein oder mehrmals die Woche einen Tee (günstiger) oder Café trinken gehst und dabei die Tageszeitung, eine Zeitschrift oder ein Buch liest. Vielleicht möchtest Du Dich für diese „Verabredungen mit Dir selbst“ auch ein bisschen zurechtmachen.
Es tut gut, regelmäßig unter Menschen zu sein.
Möglichkeiten, mit Menschen zusammen zu sein, ohne aktiv Kontakte zu suchen: Sport
Trete einem Fitnessstudio oder Sportverein bei (Sportvereine sind um ein vielfaches günstiger) und nehme regelmäßig an den gleichen Kursen teil. Sicherlich wirst Du irgendwann mit anderen Teilnehmerinnen ins Gespräch kommen.
In Hamburg bietet Sportspaß für einen monatlichen Beitrag von EUR 10 eine Auswahl aus ca. 80 verschiedenen Kursangeboten (darunter auch NIA und verschiedene Tanzsportarten, aber auch Kampfsport und Mannschaftssportarten) in unterschiedlichen, quer über die Stadt verteilten Einrichtungen für einen Mitgliedsbeitrag von EUR 10 pro Monat an. Einmal monatlich findet zusätzlich eine Ü25-Party statt zu der Mitglieder freien Eintritt haben.
Möglichkeiten, mit Menschen zusammen zu sein, ohne aktiv Kontakte zu suchen: VHS-Kurse oder öffentliche Veranstaltungen
In (fast) jeder Stadt gibt es eine Volkshochschule. Diese bieten i.d.R. ein sehr breites Spektrum an: Sport, Fremdsprachen, PC-Kurse, Meditationszirkel, Kunsthandwerk, Malerei, u.v.m. Die meisten VHS veröffentlichen Ihr Programm im Internet. Insbesondere bei Kursen, die über einen längeren Zeitraum wöchentlich stattfinden lässt sich zwanglos in Kontakt mit neuen Menschen kommen, mit denen Dich bereits ein gemeinsames Hobby verbindet.
Eine weitere Möglichkeit unter Menschen zu kommen und dabei auf Menschen mit ähnlichen Interessen zu stoßen ist der Besuch von Lesungen, Konzerten, o.ä. Diese werden in Stadt-Magazinen (z.B. Prinz) oder den kostenlosen Regionalblättern angekündigt.
Aktiv und dennoch zwanglos-unverbindlich neue Menschen kennenlernen
Es gibt verschiedene Online-Portale, auf denen sich Menschen für gemeinsame Unternehmungen (nicht zur Partnersuche!) zusammenfinden, z.B.: www.lokalisten.de, www.ue40.de, www.brigitte.de, www.new-in-town.com. Z.B. finden sich dort Menschen für Radtouren, Wanderungen oder andere Unternehmungen.
Wirf einen genaueren Blick auf bisher „unscheinbare“ Bekannte
Es ist alles andere als unüblich, dass sich der Freundeskreis von Betroffenen in der Zeit nach der Trennung stark verändert, auch weil die Betroffene selbst sich verändert. Manche Menschen werden nicht mehr zu Dir passen, es ist wahrscheinlich, dass Deine Auswahlkriterien für Freunde und gute Bekannte sich verändern. In diesem Zuge ist es auch möglich, dass Personen, die Dir früher kaum aufgefallen sind, sich Schritt für Schritt als potentielle gute Freunde entpuppen.
„Aus damaligen Bekannten sind wahre, tiefe Freunde geworden, aus Freunden sind Fremde für mich geworden, aus Arbeitskolleginnen sind Vertraute geworden.
Meine Sozialkontakte sind komplett durcheinandergewirbelt worden, weil ich es so wollte. Und herausgekommen ist ein neues Bild. Ein schöneres und angenehmeres und aufregenderes, als je zuvor.“
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